23.08.2024 | Modern denken - Modern streiten nun auch in Deutschland?


von Vanessa Mengelkamp, wissenschaftliche Mitarbeiterin

Bei der Abwicklung von Geschäften zwischen Unternehmen läuft nicht immer alles glatt. Kommt es zu Streitigkeiten zwischen den Parteien, gibt es verschiedene Möglichkeiten, diese beizulegen. So können die Parteien auf dem klassischen Weg die Durchsetzung ihrer Rechte im Rahmen einer Klage vor den ordentlichen Gerichten verfolgen. Alternativ kann der Streit aber auch mittels eines Schiedsverfahrens beigelegt werden.

Mittlerweile wird der Weg zur ordentlichen Gerichtsbarkeit von den meisten Unternehmen gemieden. Immer mehr Streitigkeiten, insbesondere im Zusammenhang mit Unternehmenskäufen, werden durch private Schiedsverfahren beigelegt. Teilweise werden auch andere Rechtsordnungen gewählt. Tatsache ist, dass Deutschland als Justizstandort nicht sonderlich attraktiv ist.

Warum ist das so?


 Staatliches GerichtsverfahrenSchiedsgerichtsbarkeit
Verfahren
  • ZPO
  • unabhängige Richter
  • unflexibel, Parteien können nicht mitbestimmen
  • relativ frei von den Parteien bestimmbar
  • Schiedsgerichtsordnung (DIS oder ICC)
  • Schiedsrichter frei wählbar
  • Ort und Sprache frei wählbar
Kosten
  • kalkulierbar
  • GKG
  • kalkulierbar (z.B. DIS-Kostenrechner)
  • hoch
Dauer
  • langer Instanzenzug
  • lange Verfahren
  • eine Instanz
  • durchschnittlich zwölf Monate (DIS)
  • auch beschleunigtes Verfahren möglich
Vertraulichkeit
  • öffentliche Verfahren
    -> nicht gegeben
  • vollumfänglich
Vollstreckbarkeit
  • bei nationalen Sachverhalten einfacher als bei ausländischen Sachverhalten
  • Verfahren auch nach ZPO
  • bei nationalen Sachverhalten erst gesondertes Verfahren vor OLG (§ 1060 ZPO)
  • bei internationalen Sachverhalten nach New York Convention
Rechtsmittel
  • Überprüfung der Entscheidung in der nächsten Instanz
  • Aufhebbarkeit unter engen Voraussetzungen
  • weitere Instanzen können vorher vereinbart werden


Das Verfahren vor den ordentlichen Gerichten ist daher vor allem im Hinblick auf Dauer, Flexibilität und Vertraulichkeit unattraktiver als das Verfahren vor den Schiedsgerichten.

Dies soll sich nun ändern und so wurden gleich zwei Gesetzentwürfe eingebracht, die die Möglichkeiten der Streitbeilegung erweitern bzw. attraktiver machen sollen – das Justizstandort-Stärkungsgesetz und das Gesetz zur Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts.


Update der Gerichte für Wirtschaftsstreitigkeiten

1. Das Justizstandort-Stärkungsgesetz und die Einführung der Commercial Courts

Die ordentliche Gerichtsbarkeit bietet ein Verfahren das heute nicht mehr zeitgemäß ist. Deshalb soll ein an den Bedürfnissen der Wirtschaft orientiertes schnelles und effizientes Verfahren angeboten werden. Es soll eine Konkurrenzfähigkeit zu den privaten Schiedsgerichten hergestellt werden.

Deshalb sieht das am 04.06.2024 beschlossene Gesetz die Möglichkeit der Einführung von Commercial Courts vor. In Stuttgart und Mannheim sind solche bereits 2020 eingeführt worden. Weitere Commercial Courts sollen als staatliche Institution bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten zwischen Unternehmen mit größtmöglicher Unabhängigkeit in einem schnellen, effektiven Verfahren mit moderner Kommunikationstechnik und im Dialog mit den Parteien lösen. Sie können auch grenzüberschreitend tätig werden. Die Bundesregierung plant die Einrichtung von fünf Commercial Courts in den Bundesländern Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen.

2. Viele Neurungen gleich große Wirkung?

Um die Konkurrenzfähigkeit zu Schiedsgerichten herzustellen, werden die Vorzüge und Möglichkeiten der Schiedsgerichtsbarkeit für die Commercial Courts übernommen.

Ein Schwerpunkt ist die Einführung einer sog. Case Management Conference. Dabei handelt es sich um einen Organisationstermin für Richter und die Parteien, der es ermöglicht, den Streitstoff vorab einzugrenzen und einen Verfahrenskalender aufzustellen (§ 621 ZPO-E).
Eine Besonderheit ist, dass zur Beschleunigung des Verfahrens mehrtägige, aufeinanderfolgende Verhandlungstermine und Beweisaufnahmen am Stück möglich sind. Beweisaufnahme und Verhandlung sollen auch per Videoübertragung möglich sein. Darüber hinaus soll es auch die Möglichkeit geben, Wortprotokolle anzufertigen, die von den Parteien eingesehen werden können.

Ein besonderer Vorteil des Schiedsverfahrens ist die besondere Vertraulichkeit des gesamten Verfahrens und aller beteiligten sensiblen Informationen. Für die Verhandlungen vor den Commercial Courts soll - anders als in der ordentlichen Gerichtsbarkeit - der Ausschluss der Öffentlichkeit möglich sein. Zudem soll der Schutz von Geschäftsgeheimnissen dahingehend erweitert werden, dass das Gericht die streitgegenständlichen Informationen als geheimhaltungsbedürftig einstufen kann. Dies bietet allerdings keinen so umfassenden Schutz wie in Schiedsverfahren.

Das gesamte Verfahren soll in englischer Sprache geführt werden können, zudem soll es auch möglich sein, Dokumente in englischer Sprache einzureichen.

3. Wann und wie kann man sich an Commercial Courts wenden?

Der Commercial Court wird zuständig, wenn beide Parteien dies vereinbart haben (§119 b II GVG-E). Der Streitwert des Rechtsstreits muss über 500.000 EUR betragen. Zuvor lag der geplante Streitwert bei 1. Mio EUR. Ob die Herabsetzung in letzter Minute die gewünschte Wirkung zeigt bleibt abzuwarten. So auch, ob es Schwierigkeiten bei der Ausarbeitung entsprechender Vereinbarungen zwischen den Parteien kommt, da der genaue Streitwert eines Falles im Vorfeld häufig nicht bekannt ist. Die Schwelle immernoch sehr hoch angesetzt, sodass kleine und mittlere Unternehmen nicht in der Lage sind, die Expertise des Commercial Courts zur Klärung ihrer Streitigkeiten in Anspruch zu nehmen. Je weniger Fälle vor den Commercial Courts verhandelt werden, desto weniger kann die Rechtsfortbildung unterstützt und eine Expertise aufgebaut werden.

Auch wenn die Parteien nicht im Vorhinein vereinbart haben, das Verfahren vor den Commercial Court zu bringen, kann das Landgericht den Rechtsstreit an den Commercial Court verweisen. Allerdings müssen beide Parteien zustimmen, da dies mit einem verkürzten Instanzenzug und eventuell höheren Kosten verbunden ist.

Das erstinstanzliche Verfahren vor den Commercial Courts entspricht im Wesentlichen dem landgerichtlichen Verfahren mit dem Unterschied, dass kein Einzelrichter entscheidet (§ 619 I 1 ZPO-E).

Ist der Streitwert erreicht, können sich Unternehmer mit allen bürgelich rechtlichen Streitigkeiten an die Commercial Courts wenden. Ausgenommen davon sind Streitigkeiten auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes und Urheberrecht sowie Ansprüche nach dem GWG.
Andere Parteien, auch Verbraucher können sich bei Streitigkeiten aus oder im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Unternehemns oder Anteilen an diesem an die Commercial Courts wenden. Das geht auch mit Streitigkeiten zwischen der Gesellschaft und Mitgliedern des Leitungsorgans oder Aufsichtsrats. Ausnahme hier sind Beschlussmängelstreitigkeiten.

"Streitbeilegung Made in Germany" bei den deutschen Schiedsgerichten

1. Hintergrund

Geplant ist die Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts, um der fortschreitenden Digitalisierung Rechnung tragen und damit die Leistungsfähigkeit und Attraktivität des Schiedsstandortes Deutschland steigern. Wie bereits angedeutet, ist eine „Rechtsflucht“ deutscher Unternehmen in die institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit zu beobachten.

2. Besonderheiten

Es wird vorgeschlagen, dass Schiedsvereinbarungen künftig wieder formlos abgeschlossen werden können; dies wäre eine Rückkehr zum alten Schiedsverfahrensrecht von vor 1998.

Die oben erwähnte Vertraulichkeit von Schiedsverfahren und Schiedssprüchen ist für viele Unternehmen ein großer Vorteil – der Rechtsfortbildung und Entscheidungstransparenz ist sie jedoch nicht förderlich. Die Möglichkeit der Schiedsgerichte, ihre Schiedssprüche zu veröffentlichen, soll umgesetzt werden. Dies soll von der Zustimmung der Parteien abhängig gemacht werden. Um der Digitalisierung gerecht zu werden, sollen mündliche Verhandlungen als Videoverhandlungen durchgeführt werden können. Auch Schiedssprüche können digital erlassen werden, wenn der Schiedsrichter elektronisch qualifiziert signiert.

Die Möglichkeit der Verfahrenssprache Englisch ist vorgesehen.

Was passiert und welche Schritte eingeleitet werden können, wenn trotz eines Urteils oder Schiedsspruches nicht gezahlt wird, wird im nächsten Teil des Artikels beleuchtet.




Vanessa Mengelkamp


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