22.02.2024 | Die Business Judgement Rule – Ein sicherer Hafen für den Geschäftsführer


von Vanessa Mengelkamp, wissenschaftliche Mitarbeiterin

Unternehmerische Entscheidungen sind größtenteils von Unsicherheit und prognostischen Elementen geprägt. Es kann notwendig sein, risikobehaftete Geschäfte einzugehen. Bei der Abwicklung solcher Geschäfte darf jedoch kein pflichtwidriges Verhalten oder Verschulden erkennbar sein, da dies den Fortschritt eines Unternehmens erheblich beeinträchtigen könnte. Vor diesem Hintergrund soll die Business Judgement Rule eine Art sicheren Hafen für Unternehmer bieten.

Der Gedanke der Business Judgement Rule (BJR) entspringt dem US-amerikanischen Recht. Bereits vor ihrer gesetzlichen Einführung über § 93 Abs. 1 S. 2 Aktiengesetz (AktG) hatte der Bundesgerichtshof (BGH) in seiner ARAG-Entscheidung (BGHZ 135, 244) darauf erkannt, dass es haftungsfreie unternehmerische Handlungsspielräume - auch "safe harbour" genannt - geben muss.

Der Gesetzgeber will nicht den Mut zum unternehmerischen Risiko nehmen. Die Entscheidungen von Unternehmern beruhen häufig auf Instinkt, Erfahrung, Gespür oder Fantasie. Da es keinen einheitlichen Geschäftsleitertyp gibt, sind diese Entscheidungen von Faktoren geprägt, die sich einer justiziablen Einschätzung entziehen. Deshalb können Anforderungen an Sorgfaltspflicht nicht nach festem Maßstab bemessen werden. Vielmehr werden bei der Bewertung des Einzelfalls die Art und Größe des Unternehmers, die Anzahl der Beschäftigten, die Konjunkturlage, die Zeitverhältnisse und die besondere Aufgabe des einzelnen Mitglieds berücksichtigt. Dabei gelten für Geschäftsführer kleiner Handwerksunternehmen geringere Anforderungen im Vergleich zum Vorstand eines Industriekonzerns.

§ 93 Abs. 1 S. 2 AktG legt die Voraussetzungen fest, unter denen trotz eines möglichen entstande-nen Schadens keine Pflichtverletzung vorliegt. Die dort dargelegten Grundsätze der Business Judgement Rule finden - trotz fehlender gesetzlicher Regelung - auf die GmbH entsprechende Anwendung.

Die Regelung besagt, dass Vorstand und Aufsichtsrat die Regeln ordnungsgemäßer Unternehmensführung beachten müssen. Verletzen sie die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters bzw. Aufsichtsratsmitglieds schuldhaft, so haften sie der Gesellschaft gegenüber auf Schadenersatz. Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unter-nehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.

Bei jeder unternehmerischen Entscheidung ist es zunächst wichtig, eine solide Tatsachengrundlage zu schaffen. Dabei sollen anerkannte Erkenntnisse und Erfahrungsgrundsätze aus der jeweiligen Branche Berücksichtigung finden. Bei vielen Entscheidungen bietet sich eine Kosten-Nutzen-Analyse an. Mit zunehmendem Risiko einer Maßnahme steigt die Begründungslast für deren Umsetzung. Hierbei sind entsprechende Risikoprofile und Prognosen anhand objektiver Tatsachen zu erstellen, wobei branchenübliche Techniken anzuwenden sind. Dabei ist es wichtig, dass sämtliche zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen ausgeschöpft werden. Der gesamte Prozess der Entscheidungsfindung sollte lückenlos dokumentiert werden, da der Entscheidungsträger im Schadensfall selbst die Beweislast trägt.

Zusammengefasst darf der Geschäftsführer keine unverantwortlichen, unangemessenen oder existenzgefährdenden Geschäfte abschließen, da er sich sonst nicht auf die Business Judgement Rule berufen kann. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn das Risiko eines Schadens unabwendbar ist und keine vernünftigen wirtschaftlichen Gründe für dessen Eingehung sprechen. Ebenso sollten Maßnahmen vermieden werden, bei denen das Risiko und dessen Ertragsaussichten außer Verhältnis stehen.

Der Entscheidungsträger ist haftbar, wenn der Beurteilungs- und Einschätzungsspielraum, den die Business Judgement Rule einräumt, überschritten wird. Dies bedeutet, dass die Geschäftsführungs-maßnahme nicht unter Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführers vorgenommen wurde, insbesondere bei grob fahrlässigem Verhalten. Ein sicherer Hafen wird keinesfalls für schlicht illegales Verhalten gewährt. Dabei ist zu beachten, dass die subjektiven Fähigkeiten der betreffenden Führungsperson keine Berücksichtigung finden, sodass mangelnde Kenntnisse und Fähigkeiten den Schadenseintritt nicht rechtfertigen können.

Ansprüche, die sich aus Pflichtverletzungen ergeben, können von verschiedenen Berechtigten geltend gemacht werden. Der Aufsichtsrat kann diese Ansprüche nach Beschluss der Hauptversammlung mit einfacher Mehrheit erheben. Ebenso haben Aktionäre/Gesellschafter, die gemeinsam einen Anteil von 10% oder 1 Mio. EUR halten, das Recht, Ansprüche geltend zu machen. In besonderen Fällen, insbesondere wenn der Schaden durch Unredlichkeit oder grobe Verletzung von Gesetz oder Satzung verursacht wurde, kann auch ein einzelner Aktionär mit einem Anteil von 1% des Grundkapitals oder 100.000 EUR einen Anspruch geltend machen.

Vorstände, Geschäftsführer, Aufsichtsräte und Führungskräfte haben die Möglichkeit, sich durch Abschluss einer D&O-Versicherung vor Ansprüchen Dritter (z.B. Kunden, Lieferanten Banken oder von ihrem Unternehmen) zu schützen. Diese Versicherung bietet auch Schutz vor Schadensersatzan-sprüchen, die aus der Missachtung der Business Judgement Rule resultieren und das Privatvermögen des Verantwortlichen gefährden können.

Trotz des Versicherungsschutzes bleibt die Einhaltung der o.g. Grundsätze ord-nungsgemäßer Unternehmensführung die beste Möglichkeit zur Vermeidung von Haftungsrisiken.


Vanessa Mengelkamp


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